Vorbereitung der Wiedereröffnung
Die Wiedereröffnung der Deutschen Schule in San José unter dem Namen „Humboldt-Schule” ist ein entscheidender Schritt bei der Wiederbelebung des gesellschaftlichen Lebens der Alemanes nach dem Zweiten Weltkrieg und betont bewusst die Brücken zwischen der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland und ihre Wahlheimat Costa Rica.
Eine entscheidende Rolle bei den Vorbereitungen zur Wiedereröffnung der Deutschen Schule spielt Richard Steinvorth. Die schwierigen Verhandlungen mit den costa-ricanischen Behörden über den enteigneten Besitz verlangen ihm und den anderen Beteiligten einiges ab.
Außerdem wird am 12. November 1955 ein neuer Schulverein gegründet, der das zurückerhaltene Eigentum der Deutschen Schule künftig verwalten soll. Nach „den Erfahrungen des letzten Weltkrieges ist es uneangebracht [sic!] irgend eine Beziehung des zurueckgerworbenen Eigentums zu der Deutschen Schule und selbst zur Azociacion Escolar Alemana zu erhalten”, deren Statuten „fast in ihrer Gesammtheit unandwendbar und unerwauenscht [sic!] in der gesetzlichen wie politischen heutigen Lage” seien. Weiter heißt es in der Begründung: „Der durch die Art der Gesellschaft bedingte politische Einfluss fuehrte schon in der Vorkriegszeit zur Einschaltung des Deutschen Schulvereins in die Nazi Partei und der damit verbundenen spaeteren Folgen fuer seine Mitglieder und das Eigentum der Gesellschaft. Wir koennen uns keinen Ilusionen [sic!] hingeben, dass dies im neuen republikanischen Federal Bundestaat [sic!] anders geworden ist.” (Abb. 1).
Da der vorherige Schulverein keine neue Schule eröffnen will, findet am 12. November 1955 die Gründungsversammlung der neu ins Leben gerufenen „Institución Cultural Germano-Costarricense“ statt. Die ersten beiden Vorsitzenden sind Peter Schönfeld und Alfonso Acosta.
Im Dezember 1955 willigt der costa-ricanische Staat ein, Ersatzleistungen an den Schulverein zu zahlen, und am 31. Dezember 1955 wird dem Verein ein Gebäude übergeben, das zuvor Teil der Deutschen Schule war und aktuell vom Staat genutzt wird. Dem neuen Kulturverein steht nun ein Anfangskapital von 30.000 Colones zur Verfügung (Abb. 2).
Wiederaufnahme des Schulbetriebs
Am 5. März 1956 kann der Schulbetrieb mit 52 Kindern wiederaufgenommen werden (Abb. 3 u. 4).
Weder eine Durchsicht der Protokolle der Junta-Sitzungen aus diesen Jahren noch eine andere Aktennotiz im Schularchiv liefern Informationen darüber, warum man sich für den Namen „Humboldt-Schule“ entscheidet. In dem oben genannten Schreiben vom Juni 1955 findet sich unter den „Mindestforderungen” zur Wiedereröffnung der Schule lediglich der Antrag, den Namen der Schule zu ändern.
In einem Artikel über Alexander von Humboldt in der Sonderbeilage von „La Nacion” anlässlich des 75-jährigen Schuljubiläums heißt es, man habe sich für diesen Namensgeber entschieden, weil die pädagogischen Leitlinien der Schule mit der Einstellung Humboldts übereinstimme, der unter anderem von klein auf Interesse an Naturwissenschaften und Kunst zeigte.
Gespräche mit langjährigen Lehrkräften sowie unseren Zeitzeuginnen und -zeugen deuten darauf hin, dass man nach den Erfahrungen des Dritten Reiches mit dem Namensgeber Alexander von Humboldt an eine Persönlichkeit anknüpfen will, die von der NS-Ideologie unbelastet ist und sich in Lateinamerika ebenso großer Bekanntheit wie Beliebtheit erfreut, wenngleich der Forschungsreisende nachweislich nie costa-ricanischen Boden betreten hat. In Amerika tragen mehrere deutsche Auslandsschulen seinen Namen.
Die Schülerzahl wächst so rasch, dass sie sich in wenigen Jahren verdreifacht. Im Jahr 1959 hat die Humboldt-Schule bereits 215 und 1961 325 Schülerinnen und Schüler, sodass in diesem Jahr der Aufbau der Sekundaria beschlossen wird (Abb. 5).
Abb. 5: Das Gebäude der Humboldt-Schule in den 1960er Jahren (Quelle: Schularchiv)
Hannes Ihrig als Schulleiter
Warum sich der Trägerverein bei der Besetzung der Stelle des Schulleiters erneut für Hannes Ihrig (Abb. 6 u. 7) entscheidet, der mit der Schwägerin des Schulvorstands Alfonso Acostas verheiratet war, ist unklar. Hannes Ihrig wurde als überzeugter NSDAP-Anhänger 1942 von US-Behörden in ein Internierungslager in den USA deportiert und kehrt erst 1947 nach Costa Rica zurück. Dass er NSDAP-Mitglied und Vertreter der Lehrergeneration war, die dem Nationalsozialismus besonders verbunden war, ist öffentlich bekannt. In seinem Aufsatz „Als Lehrer an der Deutschen Schule in Costa Rica“ (1937) verleiht er seiner nationalsozialistischen und antisemitischen Einstellung mehr als deutlich Ausdruck und vor der Schließung der Schule verstand er seine Aufgabe als Schulleiter und Hitlerjugend-Führer offenkundig darin, Schülerinnen und Schüler zu jungen Nationalsozialisten zu erziehen und die Indoktrinierung zum Nationalsozialsozialismus voranzutreiben. Genau von diesem politischen Einschluss will sich der neugegründete Schulverein eigentlich distanzieren (siehe Abb. 1). Dennoch schreibt Peter Schönfeld im Jahresbericht 1956: „Als Vorstand der neuen Institución sahen wir die besten Voraussetzungen für das Gelingen unseres Werkes in der Person von Herrn Hannes Ihrig, […] der für uns durch die früher erzielten Ergebnisse eine Garantie für ein erfolgreiches Wirken darstellte. […] Ein guter Anfang ist gemacht.”
Hannes Ihrig leitet die Humboldt-Schule von der Wiedereröffnung 1956 bis 1961 und ist Ende der 1960er Jahre als Schulleiter an der Deutschen Schule in El Salvador tätig.
Der Unterricht
Der Unterricht an der Humboldt-Schule basiert nach der Wiedereröffnung zunächst auf dem costa-ricanischen Lehrplan und wird im Gegensatz zur Vorkriegszeit auf Spanisch gehalten, aber Deutsch wird auch unterrichtet. Ziel ist, eine sechsklassige Volksschule aufzubauen. Im ersten Schuljahr nach der Wiedereröffnung sind nur Schülerinnen und Schüler vom Kindergarten bis zur zweiten Klasse eingeschrieben. Später soll eine fünfklassige Oberstufe dazu kommen und alle sollen dreisprachig (Deutsch, Spanisch und Englisch) und mit guten naturwissenschaftlichen Kenntnissen von der Schule abgehen.
Wesentliche Aufgabe der Humboldt-Schule ist nicht nur, den deutsch-costa-ricanischen Schülerinnen und Schülern Deutsch beizubringen, sondern es geht von Anfang an um die Vermittlung der damit verbundenen kulturellen Werte. Ein anderer Zweck der Deutschen Schule besteht darin, dass Schülerinnen und Schüler aus Familien der Alemanes Kontakte untereinander und zu gleichaltrigen Costa-Ricanerinnen und Costa-Ricanern der Elite knüpfen, um die Weichen für ihre Zukunft zu stellen.
Bedeutung der Schule in der Gesellschaft
Die zentrale Funktion der Humboldt-Schule ist, bei den nachfolgenden Generationen die deutschen Aspekte der Identität als Alemanes zu erhalten, allerdings immer im Bewusstsein, integraler, aber doch anderer Teil der costa-ricanischen Gesellschaft zu sein. Die Humboldt-Schule hat einen entscheidenden Anteil daran, die Beziehungen zwischen der deutschen Minderheit in Costa Rica und der costa-ricanischen Bevölkerung zu festigen.
Gerade die erste Elterngeneration erzieht ihre Kinder in der Überzeugung, Teil von Costa Rica zu sein und gleichzeitig ihren deutschen Hintergrund zu bewahren. Auf diese Weise sollen sie in der costa-ricanischen Gesellschaft verwurzelt sein, während sie gleichzeitig wichtige soziale und wirtschaftliche Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland aufbauen.
Wie Richard Steinvorth in einem Schreiben vom Juli 1959 deutlich macht, ist das Unternehmen Humboldt-Schule
„[rein geschäftlich gesehen […] kein lukratives Geschäft. Es kommt darauf an, ob in der deutschen Kolonie und bei unsren Costa Rica Freunden genügend Begeisterung besteht, wieder einen eigenen Klub und eine eigene Schule zu haben, und nicht bolss [sic!] der Enthusiasmus vorhanden ist, sondern auch der Wunsch und Wille, an seinen Errichtungen mitzuhelfen und zu arbeiten.” (Abb. 8).
Zu den Empfängern dieses Schreiben zählt unter anderem Helmut Ruge, dessen schriftliche Antwort ebenfalls im Schularchiv aufbewahrt wird. Er formuliert als wichtiges Ziel der Schule „als Traeger deutscher Kultur, Sitten und Zusammengehoerigkeit, den zukuenftigen Generationen einen Rueckhalt und Grundstock zu legen.” (Abb. 9).
Für ihn scheint der Wiederaufbau der deutschen Schule ein dringlicherer Wunsch zu sein als die Neubelebung des Deutschen Clubs: „Ich persoenlich glaube, dass die Schule […] die beste Gewaehr fuer den hoechsten, kulturellen Stand der Gesellschaft geben wuerde; denn zu leicht koennte ein anfaenglicher Club zu einem Biertrinker-Verein degenerieren, ohne dass eines Tages daraus die deutsche Schule hervorgehen koennte.” (Abb. 10).