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Rückkehr aus den Internierungslagern

Der Zweite Weltkrieg ist für die meisten Alemanes eine traumatische Erfahrung, bedeutet er doch den Verlust ihres Status als Elite, was einhergeht mit Diskriminierung, Enteignungen, Inhaftierungen und Ausweisungen. Noch 1949 sind einige der 379 Deutschen aus Costa Rica in US-Lagern. Aufgrund der ungerechtfertigten Internierungen haben die US-Behörden Angst vor möglichen Racheaktionen und berechtigten Habeas-Corpus-Klagen. Zudem halten sie viele Alemanes noch immer für gefährlich und wollen verhindern, dass sie in dieser Hemisphäre bleiben. Ziel ist, sie nach Deutschland zu bringen.

Auch die costa-ricanische Regierung will die Rückkehr der Alemanes verhindern oder zumindest verzögern. Spätestens seit 1944 ist das an vielen von ihnen begangene Unrecht in Costa Rica zwar allgemein bekannt, trotzdem gehen die Enteignungen unter Präsident Teodoro Picado Michalski (Abb. 1), der im Mai 1944 Rafael Ángel Calderón Guardia ablöst, bis Mai 1946 weiter und werden sogar verstärkt betrieben.

Die entscheidende Rolle bei der Rückkehr der Alemanes aus den Lagern in den USA spielen ab 1945 die in Costa Rica lebenden Familienangehörigen, insbesondere costa-ricanische Ehefrauen und Mütter der Internierten. Sie wenden sich in offenen Briefen an die eigene Regierung, klagen vor nationalen Gerichten und nutzen die Medien, um für die Rückkehr ihrer Männer und Söhne zu kämpfen. Unterstützt werden sie vom costa-ricanischen Erzbischof Sanabria (Abb. 2) und der katholischen Kirche, die bei der Wiedervereinigung der Familien mitwirkt.

Ab 1948 profitieren die Alemanes vom politischen Wandel in Costa Rica nach dem Bürgerkrieg 1948/49. Denn José Figueres Ferrer (Abb. 3) plant aus seinem Exil in Mexiko einen Staatsstreich in Costa Rica und führt diesen mit Gleichgesinnten erfolgreich durch, sodass er Präsident in der Segunda República wird. 

Die Regierungszeit von Rafael Ángel Calderón Guardia wird jetzt als caleronista bezeichnet und als Tyrannei abgestempelt. In diesem Umfeld entsteht das Bild der Alemanes, die als ehrenvoller Teil der costa-ricanischen Gesellschaft zu unschuldigen Opfern gemacht wurden. Für die Alemanes eröffnete sich damit eine ungeahnte Chance, ihre frühere elitäre Position wiederzuerlangen: Die Regierung, die sie angegriffen hat, ist nicht mehr an der Macht, und das nationalsozialistische Regime in Deutschland, mit dem sie in Verbindung gebracht wurden, vernichtet. Die Alemanes können sich wieder stolz zu ihrer deutschen Herkunft bekennen und gleichzeitig vermeiden, den USA oder der neuen costa-ricanischen Regierung Schuld an der erfahrenen Krise zuzuweisen. 

Auch in costa-ricanischen Zeitungen wird weder über die Beziehungen der Alemanes zum NS-Regime und ihre nationalsozialistischen Aktivitäten noch über die Maßnahmen gegen sie geschrieben, stattdessen werden die Alemanes wieder zu respektierten Mitgliedern der costa-ricanischen Elite – und selbst bekannte Nationalsozialisten werden in den Medien regelrecht gepriesen.

Die neue kollektive Identität der tugendhaften Opfer

In diesem Kontext wird die kollektive Identität der tugendhaften Opfer (virtuous victimhood) konstruiert, was sich in der Nachkriegszeit in ähnlicher Weise in Westdeutschland beobachten lässt. Indem die Alemanes in Costa Rica die eigene Sympathie zum Regime des Dritten Reiches und ihre Unterstützung des Nationalsozialismus verleugnen, was ihre Krise wesentlich mit verursacht hat, baut das Narrativ der tugendhaften Opfer auf der Idee auf, die Alemanes seien allein aufgrund ihres ethnischen Hintergrunds und ihres Wohlstands Zielschreibe eines gewalttätigen Unrechtsregimes geworden. Sie selbst hätten demütig ihre Situation akzeptiert und arbeiteten nun ehrenhaft an ihrer Rehabilitierung als Costa-Ricaner im Herzen (de corazón costarriciense). 

Diese neue kollektive Identität entpuppt sich als Schlüssel zum sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufstieg. Allerdings ist der Großteil des enteigneten Besitzes bereits in dritte Hände übergegangen, sodass der costa-ricanische Staat weder Zugriff darauf hat noch über die finanziellen Mittel für angemessene Entschädigungszahlungen verfügt. Was privat verkauft wurde, muss nicht selten zu weit höherem Preis zurückgekauft werden, wenn es überhaupt zurückgegeben wird. 

Umgang mit der Vergangenheit

Nach dem Untergang des Dritten Reiches steht der Nationalsozialismus auch in Costa Rica nicht länger für gute Geschäfte, sondern für Kriegsverbrechen. Wenig verwunderlich ist daher, dass die Alemanes weitgehend über diese Zeit und vor allem ihre eigenen Beziehungen zum Nationalsozialismus schweigen. Der Nationalsozialismus und die begangenen Verbrechen werden auf Menschen außerhalb der eigenen Gruppe projiziert, wie die Ortsgruppenleiter Herbert Knöhr und Karl Bayer, oder Deutsche, die nach dem Ersten Weltkrieg ohne Kapital nach Costa Rica eingewandert sind und nicht der Elite angehören. 

Die neu geschaffene kollektive Identität der tugendhaften Opfer geben die Alemanes erfolgreich an ihre Kinder weiter. Da in Costa Rica eine mit den 1968ern in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbare Bewegung fehlt, werden die Alemanes von der nachfolgenden Generation auch nie mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit konfrontiert bzw. können und wollen sich ihre Nachfahren nicht vorstellen, dass viele ihrer Eltern mit dem Nationalsozialismus sympathisierten und mindestens 10 Prozent der Alemanes Mitglieder der NSDAP-AO waren. 

Die von den Eltern konstruierte kollektive Identität in Frage zu stellen, würde zudem mehr bedeuten als den Verlust materiellen Wohlstands, sie müssten Stolz durch Schuld ersetzen und Selbstbewusstsein durch Selbstzweifel. Aus diesem Grund wird die neue kollektive Identität generationenübergreifend erhalten. 

Den Alemanes in Costa Rica gelingt nach dem Krieg erfolgreich, sich neu zu erfinden und ihre Transnationalität wiederzubeleben. Sie identifizieren sich erneut voll Stolz mit ihrem deutschen Hintergrund, nachdem, deutsch zu sein, nun wieder für Disziplin, harte Arbeit und Ehrlichkeit steht und geschäftliche Beziehungen zur neu gegründeten Bundesrepublik ermöglicht. 

Literatur: 

Berth, Christiane: La inmigración alemana en Costa Rica. Migración, crisis y cambios entre 1920 y 1950 en entrevistas con descendientes alemanes, in: Revista de Historia de América 137 (Jan-Dez 2006), 2006, S. 9-31.

Díaz-Arias, David Gustavo: Social crises and struggling memories: populism, popular mobilization, violence, and memories of civil war in Costa Rica, 1940-1948, Diss. Indiana 2009.

Gurcke Donald, Heidi: We Were Not the Enemy. Rememberging the United States’ Latin-American Civilian Internment Program of World War II, Lincoln 2006. 

Meissner, Carlos Albrecht: A Resilient Elite: German Costa Ricans and the Second World War, unveröffentlichte Diss. New York 2010.

Nemcik, Christine C.: Germans, Costa Ricans, or a question of dual nationalist sentiments? The german community in Costa Rica. 1850-1950, unveröffentlichte Diss. Indiana 2001. 

Schulchronik zum 100. Geburtstag, hg. vom Deutsch-Costaricanischen Kulturverein, San José 2012.

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