top of page

Die „Eisenach”-Affäre 

Im Februar 1941 sucht das deutsche Handelsschiff „Eisenach“ (Abb. 1) im costa-ricanischen Hafen von Puntarenas zusammen mit der italienischen „Fells“ Zuflucht vor einem britischen U-Boot. Die Anwesenheit der Schiffe stört die USA und Großbritannien fordert die sofortige Entwaffnung der Schiffe. Präsident Rafael Ángel Calderón Guardia hat jedoch Sorge, sein Militär könne das nicht leisten und die Crews würden den Hafen blockieren. 

Letztlich werden beide Schiffe Ende März 1941 konfisziert. Die „Eisenach“ wird verbrannt und die Crew inhaftiert. Obwohl der Präsident mit dem deutschen und italienischen Konsulat vereinbart, dass die Mannschaft von der Kanalzone aus mit einem Schiff nach Japan kommt und von dort aus repatriiert wird, werden die Crewmitglieder auf Veranlassung der US-Behörden nach San Francisco gebracht. 

Mitglieder der Elite der Alemanes bringt dies gegen den costa-ricanischen Präsidenten auf. Sie sympathisieren offen mit der Crew der „Eisenach“, da sie in ihr eine Verbindung zu ihrem (früheren) Heimatland sehen. Im Mai weist der Präsident drei deutsche Staatsbürger, die in Verbindung mit den Unruhen um die „Eisenach” gebracht werden aus. Um zu verhindern, dass Proteste organisiert werden, lässt er außerdem die Gebäude des Deutschen Clubs und der Deutschen Schule schließen und später konfiszieren. Das ist ein erster Schritt bei seinen Maßnahmen gegen die Alemanes.

Kriegserklärung Costa Ricas an Nazi-Deutschland 

Nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour (Hawaii) erklärt am 8. Dezember 1941 Costa Rica als erste amerikanische Nation Japan den Krieg, am 11. Dezember 1941 folgt die Kriegserklärung an Nazi-Deutschland (Abb. 2 u. 3).

Der Kriegseintritt hat unmittelbare Folgen für die in Costa Rica lebenden Alemanes. Ein eigens von der Regierung eingerichtetes Büro für die Überwachung feindlicher Ausländer koordiniert nun den Umgang speziell mit Deutschen und Italienern in Costa Rica. 

Internierungslager in Costa Rica

Direkt nach der Kriegserklärung beginnt in der Hauptstadt der Bau eines Internierungslagers. Der Deutsche Club dient als Lager für Frauen. Mitten in San José entsteht auf dem Gelände des Flughafens in La Sabana ein Internierungslager für Männer, vor allem Deutsche, Japaner und Italiener (Abb. 4 u. 5). Nur wenige, wie Herrmann Kruse, dessen Vater trotz costa-ricanischer Staatsbürgerschaft dort festgehalten wird, erinnern sich noch an das Lager. Es ist von einem elektrischen Zaum umgeben und trennt die Insassen von ihren Familien, Freunden und Unternehmen. Tag und Nacht stehen Ehefrauen und Kinder vor dem Zaun. Manche Briefe werden für Monate zurückgehalten, einige kommen nie an. 

Bis Ende Juli 1942 sind in dem Lager über 200 Menschen interniert. Zudem werden mehr als  75 Ausländer unter Hausarrest gestellt, einige von ihnen besitzen zu diesem Zeitpunkt die costa-ricanische Staatsbürgerschaft oder leben seit Jahrzehnten in Costa Rica. Auch die Zeitzeugin Gretty Staufer berichtet von jahrelangem Hausarrest für den Vater und andere Alemanes.

Die Schwarze Liste

Auf Drängen der USA wird lange vor der Kriegserklärung eine Schwarze Liste erstellt (Abb. 6). Wer darauf steht, darf keinen Handel mehr betreiben. 

Auf diese Weise werden Firmen der Alemanes, die in Costa Rica die Kaffee- und Zuckerproduktion dominieren, boykottiert. Da die USA deutsche Exporte, besonders Kaffee, unterbindet, muss Costa Rica auf das US- amerikanische Angebot eingehen, die enteigneten Kaffeeernten zu einem günstigen Preis zu verkaufen, sonst würde die Wirtschaft des kleinen Landes zusammenbrechen. 

Von Mitte Juli 1941 bis Mitte 1945 stehen durchschnittlich 250 Namen von Deutschen und ihren Unternehmen auf der Liste. Bereits lose Kontakte zu Deutschen oder deutschen Firmen genügen, um erfasst zu werden. Die Kritierien, wer auf die Liste kommt und wer nicht, sind nicht transparent. Betroffen sind selbst Familien, die seit Jahrzehnten oder sogar einem Jahrhundert in Costa Rica leben. Auch deutsche Juden, die den Nationalsozialisten im Deutschen Reich entkommen sind, werden nicht ausgenommen, wie die Familie von Ernesto Gerothwohl. 

Gerothwohl hat zuvor Artikel veröffentlicht, in denen er die Politik der costa-ricanischen Regierung gegenüber den Alemanes kritisiert und speziell das Vorgehen des Untersekretärs für öffentliche Sicherheit Manuel Rodríguez, der sich am Vermögen der Alemanes bereichert und ihre Frauen zum Sex zwingt, kritisiert. Die Schwarze Liste dient später als Basis für die gegen die Alemanes in Costa Rica beschlossenen Internierungen und Enteignungen. 

Die Versenkung der „San Pablo”

Der erste Angriff der Deutschen auf Costa Rica sichert Präsident Rafael Ángel Calderón Guardia die Unterstützung großer Teile der Bevölkerung. Nachdem der deutsche U-Boot-Kapitän Albert Aquilles unter dem Decknamen „Operation Neuland” mehrere US-amerikanische Schiffe in der Karibik versenkt hat, ist Anfang Juli 1942 Puerto Limón in Costa Rica sein nächstes Ziel. Im dortigen Hafen liegt die „San Pablo“, ein Bananenfrachter der United Fruit Company (USA) (Abb. 7 u. 8), vor Anker. 

In der Nacht des 2. Juli 1942 ist für Limón Verdunklung angeordnet, da man einen feindlichen Angriff befürchtet. Als gegen 20 Uhr bei geringer Beleuchtung die „San Pablo” entladen wird, treffen zwei deutsche Torpedos das Schiff und versenken es im Hafenbecken. Dabei kommen 24 Arbeiter ums Leben. 

Die Tageszeitung „Diario de Costa Rica“ bezeichnete die Torpedierung als ersten Angriff der Achsenmächte auf Costa Rica und viele vermuten dahinter die „Fünfte Kolonne”. 

Die Ausschreitungen vom 4. Juli 1942 

Zwei Tage nach der Versenkung der „San Pablo” findet in San José eine Parade statt anlässlich des Unabhängigkeitstages der USA als wichtigstem Verbündeten. Im Schatten der Ereignisse in Limón wird daraus eine friedliche Demonstration (Abb. 9). 

Dann halten der costa-ricanische Präsident und der Führer der Kommunistischen Partei Manuel Mora Valverde eine Rede (Abb. 10). Mora ruft darin nach dem Motto Auge um Auge und Zahn um Zahn offen zum Handeln gegen die „Fünfte Kolonne” auf. 

Kurz nach Ende seiner Rede schlägt der Demonstrationszug in einen gewalttätigen Aufstand um, der sich in das kollektive Gedächtnis der Alemanes als „Schwarzer Freitag“ eingräbt. In der Hauptstadt werden 123 Gebäude von Alemanes beschädigt und geplündert, dabei werden 76 Personen verletzt (Abb. 11). Ähnliche Übergriffe finden in anderen Städten des Landes statt. 

Der Umstand, dass die Behörden viele Stunden nicht einschreiten, legt den Schluss nahe, dass die Regierung die Gewalttaten zwar nicht geplant hat, sie aber dennoch in ihrem Sinn sind. Präsident Rafael Ángel Calderón Guardia bezeichnet sie als natürliche und logische Reaktion auf die Versenkung der „San Pablo”, mit der man den ersten Blutzoll im Krieg gegen die „Nazi-Barbaren” gezahlt habe. 

Bei den Alemanes hingegen entsteht das Gefühl, unschuldiges Opfer wahlloser Verfolgung zu sein. Sie müssen realisieren, dass sie ihren Elitestatus endgültig eingebüßt haben und kein integrierter Teil der costa-ricanischen Gesellschaft mehr sind.

Im Gegensatz zum Präsidenten verurteilt der einflussreiche Politiker José Figueres Ferrer am 8. Juli 1942 in einer Radioansprache der Radiostation „America Latina” die Ausschreitungen (Abb. 12). 

José Figueres Ferrere beschuldigt die Regierung und die Kommunisten, Schuld zu haben an den gewaltsamen Übergriffen, und unterstellt dem Präsidenten, Anweisungen aus den USA zu befolgen. Unmissverständlich wirft er Präsident Rafael Ángel Calderón Guardia vor, die Gewalt gegen die Alemanes ausgelöst zu haben. 

Nach nur 19 Minuten muss José Figueres Ferrere seine Rede abbrechen, da er von der eintreffenden Polizei verhaftet wird. Man beschuldigt ihn, Nationalsozialist zu sein, und schickt ihn ins Exil nach Mexiko. Dieses Vorgehen gegen José Figueres Ferrere führt jedoch zum Ansehensverlust des Präsidenten und hilft, das Bild der „calderonista“ zu kreieren, die ab 1948 unter der Präsidentschaft von José Figueres Ferrere Basis für das wiedererstarkende Vertrauen zwischen Costa-Ricanern und Alemanes wird.